Der Kirchhof in Schöneberg hat im Lauf seiner Geschichte vieles erlebt. Bei einem Spaziergang werden die BesucherInnen an viele Persönlichkeiten erinnert, die einstmals in Berlin durch außergewöhnliche Leistungen für Furore oder durch Skandale für Aufregung gesorgt haben.
Im 19. Jahrhundert wurden hier die vornehmen Bewohner des Tiergartenviertels bestattet. Dazu zählen etwa der „Eisenbahnkönig“ Strousberg, der liberale Reformpolitiker und Arzt Rudolf Virchow oder die Märchensammler Wilhelm und Jacob Grimm.
Der Kirchhof wurde im Kaiserreich geprägt von einer Grabkultur, die auch im Tode noch Wert auf Repräsentation legte. So entstanden zahlreiche künstlerisch gestaltete Wandgräber und Mausoleen mit Grüften. Nicht alle, jedoch eine ganze Reihe vorbildlich restaurierter Mausoleen sind erhalten.
Im Dritten Reich wurde die Hälfte des Kirchhofs abgeräumt, um Platz für den gigantomanischen Bau einer „Welthauptstadt Germania“ zu schaffen. Mehr als 15.000 Grabanlagen von Schöneberger Friedhöfen, die der geplanten Nord-Süd-Achse im Wege stehen, wurden zum Südwestkirchhof Stahnsdorf verlegt. Dort kann man heute noch die ursprünglich in Schöneberg gelegenen Mausoleen von Gustav Langenscheidt, Otto Reichelt oder Ferdinand von Richthofen bewundern.
Dank der toleranten Einstellung der Friedhofsverwaltung entsteht ab den 1980er Jahren eine neue Begräbniskultur: Künstler, Schwule, Lesben und Menschen aus fremden Kulturen fühlen sich hier wohl. Ende der 1980er Jahre steigt die Anzahl der HIV-Infektionen in Berlin auf einen Höhepunkt; da keine wirkungsvollen Therapien zur Verfügung standen, sterben immer mehr Menschen an AIDS und finden hier einen Platz für die letzte Ruhe. Im Jahr 2000 wird diese Tradition fortgesetzt. In diesem Jahr wird der Verein „Denk mal positHIV“ gegründet, dessen Anliegen es ist, an Menschen, die an HIV und AIDS verstorben sind, mit einer Grabanlage und einem Denkmal zu gedenken.
Viele kreative Projekte setzen Zeichen und erhöhen die Anziehungskraft dieses Areals. Dazu gehören die Förderung von Grabpatenschaften, die Einwerbung von Sponsoren zur Restaurierung von kulturhistorisch wertvollen Grabanlagen, die Einrichtung des „Gartens der Sternenkinder“, die Gestaltung von Ausstellungen und vieles mehr. Besonders beliebt bei Trauernden, Flaneuren und Besuchern aus aller Welt ist das Café finovo, in dessen Vorgarten man in himmlischer Ruhe Kaffee und selbstgebackenen Kuchen genießen kann oder auch mal eine schmackhafte Suppe.
Auch in jüngster Zeit haben viele namhafte Frauen und Männer hier ihre letzte Ruhe gefunden. So unterschiedliche Fans wie die des Boxweltmeisters Graciano „Rocky“ Rocchigiani, des Kultsängers Rio Reiser oder des Dramatikers Rolf Hochhuth können hier ihrer Lieblinge gedenken.
Ein neues Buch mit 45 Kurzbiographien und brillanten Fotos von Lisa Vanovitch erleichtert die Orientierung und bietet viele Anregungen für entspannte Spaziergänge. Erhältlich im Friedhofscafé und in jeder Buchhandlung. Buch und Spaziergänge lohnen sich allemal.
Dietmar Strauch: Alter St.-Matthäus-Kirchhof Berlin-Schöneberg. Ein Spazier- und Lesebuch. edition progris 2023.
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